auf die perspektive kommt es an

der-kreative-Blick7Die kreative Brille, Basisübung

Ob wir das Glas als halbleer oder halbvoll erachten, hängt in der Regel von unserem augenblicklichen Gemütszustand ab. Manchmal gelingt es uns nicht so leicht, die Seite zu wechseln. Der kreative Blick aber, der lässt sich trainieren wie ein Muskel, indem wir ihm einfach ein paar Sekunden oder Minuten unseres Alltags widmen, am Besten, bevor wir gerade mal wieder in einer Wolke aus Düsterniss abtauchen, die uns gänzlich die Sicht raubt. Hier geht es explizit darum, sich auf ein Feld des "Unwichtigen" einzulassen, welchselbiges natürlich keinerlei Relvanz zur alltäglichen Realität zu haben scheint, uns gleichwohl höchstes Vergnügen bescheren kann. Und was ist schon real, außer dem, was wir dafür halten? Wir lassen also unseren Blick schweifen. In der U-Bahn, beim Hundespaziergang, in unserer Wohnung. Wir machen uns bewußt auf, in unserem momentanen, normalen Umfeld "das Seltsame" zu entdecken. Oft geht damit eine Verlebendigung unserer Welt einher. Die Dinge erzählen uns phantastische Geschichten. Sie beginnen mit uns zu kommunizieren und auf wundersame Weise schenkt uns das eine zauberhaft-wohlige Wärme in unserem Inneren, ein Lächeln auf den Lippen und frische elefantastische Kraft für die Notwendigkeiten unseres Alltags.

elefantasie-winzella-der-kreative-blickDer kreative Blick für Fortgeschrittene

Der kreative Blick für Fortgeschrittene lädt uns ein, auch in angespannten Situationen, in denen wir uns normalerweise emotional festhaken würden, eine erfrischende Weite miteinzubeziehen, ohne dabei unsere Gefühle zu unterdrücken. Nehmen wir an, Sie ärgern sich gerade über irgendetwas (und wir beginnen hier erstmal mit Kleinkeiten...), das Sie ohnehin nicht mehr ändern können. Ihr Körper-System wurde wegen dieser Lapalie bereits durch Ärger unnötig übersäuert, die gute Laune ist jedenfalls perdu. Nun nutzen Sie, ohne sich den Ärger auszureden jene andere Parallell-Perspektive. Sie ziehen die Brille des Staunenden auf und sieh da: mit einem mal wird aus dem dem Vogelschiß auf dem frischgeputzten Fenster etwas ganz anderes.  Da begrüßen uns ein formidabel hingeschnurzter Sir Winz n°1 mitsamt seiner Schwester Winzella n°2. Wenn weiterhin unser Ärger dominiert, gilt es noch weiter "das Seltsame" auszuspähen. Meistens ist unsere Aufmerksamkeit aber längst eingenommen von dem Entdeckten und im besten Falle, erlauben wir uns nun unserer Phantasie freien Lauf zu gewähren. Am liebsten würden wir uns jetzt hinsetzen und elefantastisch angeregt eine kleine Geschichte über die beiden schreiben. Vielleicht tun wir das, vielleicht haben wir gerade keine Zeit dazu. Doch binnen weniger Sekunden sind wir um eine lustige Begegnung reicher geworden, anstatt uns nachhaltig über den Vogelschiet zu ärgern. Nun kommt sogar Berdauern auf, uns von den beiden Wesen beim nächsten Regen wieder verabschieden zu müssen. Darum fotografieren wir sie noch schnell.

elefantasie-die kreative Brille-no1aDie kreative Meisterbrille

Sie dient - am besten dauerhaft getragen - der kreativen Bewältigung in allen Lebenslagen. Hier bedarf es einiger Erfahrung, stiller Aufmerksamkeit und großer Ehrlichkeit in sich selbst hinein. Die kreative Meisterbrille ermöglicht uns einen frischen Blick nach Innen, mitten in unser Wesen. Jetzt gilt es vorallem das Wunder des "es ist - grad - wie es ist" zu entdecken, tief durchzuatmen und von dort aus, den Erfahrungsraum einfach nur wachsam zu betrachten. Das Wunder entfaltet sich wie eine zarte Blüte mit einer Prise Humor...

Vom kreativen Blick in den kreativen Ausdruck

Der kreative Blick ist äußerst anregend. Nehmen Sie sich einfach mal ein bischen Zeit, wenn Sie mit der kreativen Brille 1-3 experimentieren und lassen Sie sich von Ihrer Inspiration leiten. Malen, Geschichten schreiben, Tönen, Komponieren, Tanzen... Ihre kreativen Spuren beleben diese Welt, machen sie reicher und das wiederum spiegelt sich in Ihrem Inneren als kostbarer, unverzichtbarer Schatz. Mir gefällt der Gedanke, dass - bevor die ganze Leistungsshow, das sich Produzieren und einander Bewerten verengend und irritierend dazwischen funkte - einfach grundlos glückliche Begeisterung das Urmotiv der Kunst gewesen sei: das einfache Glück in diesem materiellen Raum von etwas Größerem bewegt zu werden, etwas, das die „Künstlerseele“ zum Ausdruck treibt und durch frische Farb- und Formenklänge dann wiederum andere empfängliche Menschenseelen bewegt.

Wenn es wirklich nix zu erreichen gäbe, nix zu schaffen, nix zu verstehen, nix zu leisten, nix zu beweisen, nix mehr in die Welt zu bringen – hey... würden wir es da nicht einfach genießen, mit all diesen Nixen zu tanzen, den Pinsel in der Hand, die Farben verlockend im Auge, unser Lied singend, aufgeregt, herzklopfend.

Raupenperspektive - vom seltsamen Geschichtenfinden

In einer Geburtstagsrunde wünschte sich die ein Jahr älter gewordene Dame des Hauses von jedem ihrer Gästen ganz spontan eine kleine Geschichte vom gerade erlebten Tag, nur ein winziges ausgewähltes Juwel innerhalb des Alltäglichen... und während die anderen Gäste promt zu erzählen begannen blickte ich unzufrieden auf meinen Tag und mein diffuses Unglücklichsein, über mein angestrengtes Erfüllungsprogramm, über den unbefriedigenden Abarbeitungsplan, all diese Vorhaben, die "erst" noch dran kämen, bevor ich das beginnen würde, wonach ich mich schon so lange sehnte. Nirgendswo fand ich das erzählenswertes Juwel. Nicht mal eine Klitze-Kleinigkeit. Ich erschrak darüber und enthielt mich.

Am nächsten morgen, nach schweren Träumen, einem echten Alptraum gar, beschloss ich trotzdem oder erst recht, schwungvoll zum Rückentraining zu fahren. Mit dem Auto allerdings, sonst hätte ich es niemlas pünktlich geschafft. In das wie immer nach abgehangenem Männerschweiß muffelnde Kampfsport Studio am Steglitzer Kreisel lugte die Sonne herein, schien von den Düften unbehelligt auf die Tatamis und mich. Es tat mir ungemein wohl. Ich genoss dieses lichte Schimmern auf meiner Haut und wollte sogleich mehr davon - immerhin würde bald der Winter kommen... Und so kam es, dass ich nicht gleich nach Hause fuhr, sondern beschloss, mir noch etwas Schönes zu gönnen. So fuhr ich nun zum Botanischen Garten und lief dort gut eingemummelt alleine mit mir durch die kühle Sonnen Luft. Begrüßte die Blumenwesen, die noch nicht schliefen und schnupperte an den kräftigen Kräutern, traf einen Salbei, der sich am Gesicht anfühlte, wie eine kühle, samtige Tiernase, aß ein wenig quitschgrüne Petersilie, bewunderte Riesenkürbisse und dann plötzlich auf einem der kleineren Wege traf ich sie:

ein Wettrennen! lauter kleine, vielleicht 2-3 cm lange, dünne, samtig-schwarzbraune Raupen, die in eine Richtung, den Weg entlang unterwegs waren! Die Nachzügler etwas atemlos, die Vorhut schon Raupenmeilen voraus. Und immer wieder  gelang es mir im Slalom um sie herum zu tänzeln und doch auch meines Weges zu gehen, ohne eine Läuferin zu zerquetschen. Ab und zu hatte eine Raupe die Orientierung verloren und bewegte sich emsig quer zum ganzen Laufgeschehen. Vielleicht wollte sie auch nur in der Wiese pausieren, vielleicht hatten Angehörige etwas zu trinken gebracht - vielleicht war es ja ein Marathon, dachte ich mir gerade und machte einen Riesenschritt, um eine Gruppe Läuferinnen gefahrenlos zu überholen. In genau diesem Augenblick ertönte direkt vor mir ein lautes, blasendes Geräusch. Es klang wie eine Mischung aus tibetischer Trompete und dem Pfurz eines riesigen Geschöpfes - genauergesagt eines riesigen Wurmes! Denn genau das war es, was mir da entgegen kam:
Schwarzbraun wie die kleinen Raupen, doch nicht samtig glatt sondern voller winziger Noppen und Wülste, gekraust und mit winzigen hellgelben Tüpfeln auf der mittleren Noppenreihe versehen. Von vorne sah ich auf ein erstaunlich riesiges Maul, ebenfalls kreischgelb, weit aufgerissen und gezeichnet wie künstlerisch geschminkte  Lippen. Am Wurmende konnte ich sofort die Giftstachel erkennen, die im braun-gelben Doppelpack wie zwei
überdimensionale Tausendfüßler-Zangen emporragten. Und dieses Tier blies sich die ganze Zeit selbst auf. Von dort rührte dieser seltsame Ton. Es wuchs mir dabei quasi entgegen. Ob es sich gleichzeitig auf mich zu bewegte weiß ich nicht genau, denn meine Wahrnehmung rang  gerade mit dem Impuls, mich aus dem Staube zu machen und zurück zu rennen. Da fielen mir aber all die kleinen Marathon-Raupen ein, die ich dann sicher zerquetscht hätte. So stand ich auf der Stelle und atmete im selben Rhythmus wie der fette Luftwurm, nur deutlich leiser. Und da nichts weiter geschah, begann ich mir sein Gesicht genauer anzusehen. Mit einem Mal musste ich an die Comedia del Arte denken. Seine Kopfzeichnung war wie eine perfekt gepinselte Maske, ja der Mund wirkte nun auf mich gar nicht mehr wie ein bedrohliches Grinsen, sondern eher wie ein schelmisches Lächeln und die Augen, kleine dunkle vielgesichtige Rundlinge sahen mich im Grunde so gar ein wenig freundlich an. Die vermeintlichen Giftstachel wackelten bei jedem tosenden Luftzug im Takt und gaben dabei rhythmisches Knacken und Krispeln von sich.

Gerade als ich meinte einen drei-viertel-Takt in dieser Vorführung zu entziffern und die ersten Marathon-Raupen dabei waren mich einzuholen, gerade als ich meinte, meinen Augen nicht zu trauen, denn die Raupen bewegten sich nun paarweise wie im Tanz, da ging dem Riesenwurm die Luft aus - pfffffffffffffffffffff.... wie ein unendlich gigantischer Luftballon surrte der Wurm ich sich zusammen, flog dabei ein paar ungelenke Runden durch die Luft und landete direkt neben seinen Raupenschwestern vor meine Stiefelspitze. Nun sah er ihnen erstaunlich ähnlich. Das gelbe Getüpfel war für mich nicht mehr zu erkennen, schließlich kann ich mich auch nicht ganz nahe zu Boden bücken, denn sonst wäre ich ja nicht Besucher einer Reha-Sport-Veranstaltung.

Ich stand noch eine Weile auf der selben Stelle und beobachtete, wie die Schar wieder in geordneten Bahnen ihres Weges zog. Möglicherweise doch kein Marathon, sondern eine Prozession? Eine religiöse Veranstaltung? Ein altes Stammesritual vor dem Winterschlaf? Eine Kulturveranstaltung um vom nahenden Winter abzulenken? Nun, da immer wieder Nachzügler von hinten kamen und ich nicht festfrieren wollte, beschloss ich, wieder mit meinen weitsichtigen Ausweichmanövern fort zu fahren. Innerlich in Habachtstellung und zu tiefst damit rechnend, womöglich an der nächsten Wegesbiegung von tosendem Wurmgelächter überrumpelt zu werden.